Vor ein paar Jahren hatten wir das Glück, mit einer der schillerndsten Musikerpersönlichkeiten Deutschlands ein Gespräch über die Philosophie des Schlagzeugspielens zu führen.
Udo Lindenberg ist nun mal eine Legende. Und dass der Chef der „Panikorchester Flexibelbetriebe“ die politische Szene um Erich Honecker und Willy Brand aufmischte, mit pluralistischen Ideen unserer Gesellschaftskultur neue Impulse gab, am Wortschatz der deutschen Sprache rumfeilte und mit intellektueller „Radikalpower“ einen Meilenstein der Musikgeschichte schrieb, das ist ja generationsübergreifend bekannt.
Doch längst vergessen ist die Tatsache, dass in der „pränatalen Panikzeit“ Udo Lindenberg ein in Deutschland ziemlich angesehener Drummer war. Er spielte Live- und Studio-Jobs und war in der Jazzrock-Szene eigentlich das, was später Curt Cress in der Pop/Rock-Musik darstellte.
Mit der geschmeidigen Verknüpfung einer easy-gepflegten Wortästhetik und eines Seeromantik-Rock’n’Roll-Sounds nach der Manier „Alles klar auf der Andrea Doria“ kam der Durchbruch Anfang der Siebziger Jahre. Damit war das Ende der Schlagzeugerkarriere besiegelt, aber auch der Anfang eines Erfolgs mit Kultstatus. Der Rest der Story ist bekannt ...
Und doch tauchte das Schlagzeug wie ein roter Faden immer wieder in seiner Karriere auf. Sei es in Form eines sicheren Geschmacks für die Wahl extrem grooviger Drummer oder auch in einer ungewöhnlichen Art, das Schlagzeug im Rahmen eines Kunst-Happenings neu zu definieren. Dass ein Gespräch mit Udo Lindenberg überhaupt stattfinden konnte, verdanken wir seinem Drummer Bertram Engel, der ihn solange beknetete, bis Udo letztlich mit einem „... ich weiß nicht, aber könn’ wir ja mal machen ...“ einwilligte.
Im Rahmen der „Atlantic Affairs“-Tournee kam es zu einer Begegnung auf der Hotelterrasse einer ominösen Residenz in der Ruhrgebietsstadt „Rocklinghausen“. Udo entschwebte einer schwarzen Limousine, und ein Hut mit Sonnenbrille glitt charmant hinter das schlichte Arrangement eines Bistro-Gedecks. In dem Moment war klar, dass ich die auf tagelangen Recherchen aufgebaute Architektur eines ausgeklügelten Fragenkatalogs auf der Stelle knicken konnte ...
Udo, du hast ja als Schlagzeuger in den 60er und 70er Jahren zu den Elite-Drummern Deutschlands gezählt. Welche Beziehung hast du heute zu den Drums und wie beurteilst du die Evolution des Schlagzeugspielens?
Udo Lindenberg: Die Trommelei ist schwer zu erklären, wie alle außerirdischen Phänomene ...
... ist das Trommeln wirklich ein Phänomen?
Udo Lindenberg: Ja, das hat geradezu mit genetischen transzendentalen Feldern und Schaltkreisen zu tun. Davon gibt’s an der B54 viel, an der Bundesstraße zwischen Gronau und Münster, genau da in der Mitte, da taucht das besonders häufig auf. In den USA ist es die Route 66 und in Deutschland die B54. Da sind wir alle geboren, ich, der Bertram, Steffi und auch Karl Brutal kommt daher.
Da haben es die Götter besonders gut gemeint mit den Trommelwissenschaften und ihren Fokus drauf gerichtet. An dieser Straße entlang flossen Energieströme auf wundersame Weise. Und deswegen gibt’s diese Trommlerverwandtschaft von den Leuten, die da herkommen. Dort hat sich dieser Westfälische Schinken-Groove entwickelt. Ein Familien-Groove.
Deine Schlagzeuger-Roots sind quasi in Vergessenheit geraten, obschon du all die Jazz-Sachen gespielt hast bis hin zu Doldinger’s Passport. Warum hast du aufgehört, als Drummer zu arbeiten?
Udo Lindenberg: Ja das ging dann nicht mehr, denn ich wollte singen und Texte machen, managen, Showtime und dancen. Und da kam Berti (Bertram Engel) zu uns, und ich sagte: „Cox, übernehmen Sie!“ Der ist ja schon früh als 17jähriger bei uns im Panikorchester eingestiegen. Eine Vertrauensmaßnahme.
War der Wechsel vom Schlagzeuger zum Sänger auch ein Wechsel von Leidenschaften?
Udo Lindenberg: Singen ist auch Leidenschaft. Wie ich singe und wie Berti trommelt – das ist ein Ding. Das ist synchron. Wie ne Doppelmassage, weißte. Wie heißt das ... wie eine Ayurveda-Massage, synchron ... (Udo fängt an zu singen und betont sehr rhythmisch) ... ba-dab-dee-dee-da-bamm-daa-daa-badamm ... mein Singen ist wie Trommeln ... dadah-be-da-damm ... ich sing wie ein Trommler und tanz wie ein Trommler ... (Udo steht auf und präsentiert in der Hotelcafeteria seine bekannte tänzerische Bühnengestik) ... ich mit dem Mund und Berti mit dem Stock, er trommelt wie ein Sänger.
Als ich damals anfing, zu tanzen wusste ich gar nicht wie das geht, außer Knie einschieben, die Nässe überprüfen und an den Arsch packen. Ich hab dann mit dem Fuß unten einfach Bass Drum und oben in der Hand die Becken gespielt. Also nur so getan. Und auf diese Weise ist dieser Trommlertanz entstanden. Man war ja auch gut breit, und um nicht auf die Fresse zu fliegen, konnte ich mich mit diesem Tanz immer ein bisschen austarieren.
Also unten trommeln und oben abfedern. So entstand der Panik-Tanz. Oft kopiert aber nie erreicht. Und der Rest vom Trommeln ist alles Technik. Das kann man lernen oder auch nicht. Das Wesentliche in der Musik kann man sowieso nicht lernen.
Was ist das Wesentliche?
Udo Lindenberg: Spirit!
Ist Spieltechnik ein Werkzeug für den Weg hin zum Spirit?
Udo Lindenberg: Willst du woanders hinfliegen oder noch höher hinaus, dann musst du ne andere Stufe anschrauben. Das ist wie Sprache. Willst du sprechen, musst du also die Sprache lernen. Musik ist ja nichts anderes als Sprache. Sprache einer Persönlichkeit. Das, was jemand zu sagen hat, wird über die Musik zum Ausdruck gebracht. Und so wie einer spielt, so ist er meistens auch. Okay, willst du den Typ kennen lernen, dann lass mal die Musik von dem hören, oder ich schau mir an wie er spielt. Und dann weiß ich schon vorher, ob ich überhaupt Lust hab, mit dem zu reden und den überhaupt kennen zu lernen.
Die Musik, die Malerei oder jede Art von Kunst ist immer ein Schlüssel zur Persönlichkeit. Auf die besondere Persönlichkeit, darauf kommt’s an, und nicht darauf, ob ich irgend welche Technik gelernt hab oder so. Das kann jeder. Millionen Leute lernen Paradiddles und so. Das ist ja nicht das Entscheidende. Entscheidend in der Kunst und überhaupt im Leben ist, wie eine Persönlichkeit dasteht, was eine Persönlichkeit zu sagen hat ... sorry, hier kommt gerade ’ne Botschaft ... (Udo unterbricht wegen eines Telefonats. Kosmos is calling.)
Interessiert dich heute die deutsche Drummerszene? Beobachtest du sie?
Udo Lindenberg: Nee. Der Maßstab, an dem ich mich orientiere, ist Berti. Ich weiß, dass es bei den Söhnen (Mannheims) noch ’nen richtig guten gibt, ein sehr guter Kollege, der auch bei Xavier trommelt. Und dann hier der Wolfgang ... hm ... Haffner ... jo!
Du hast ja auch schon mit einigen anderen Drummern gearbeitet die – sozusagen in Panik-Vertretung für Bertram Engel – bei dir spielten.
Udo Lindenberg: Da waren einige, Keith Forsey – unser erster Drummer – und auch Steffis Sohn, der ist sehr gut, upcoming, ein großer Trommler. Sehr talentiert, der Julien – und witzigerweise auch wieder unser Stil.
Was muss ein Trommler für dich haben? Wann findest du den großartig?
Udo Lindenberg: Der muss total sicher sein, dass man sich da wie in einem Sonnensegel zurücklehnen kann, die totale Sicherheit. Da darf’s keine Diskussionen über Timing-Dinger geben, über Unruhe und so. Manche Trommler, wenn die ansetzen zu irgendeinem Fill oder so, dann spür ich, dass die anfangen zu überlegen. Wie die Angst vorm Elfmeter. Und das macht mich verrückt. Dann zieht der an, wird schneller und macht irgendeinen Scheiß. Das brauchen wir nicht. Das muss absolut 1000 Prozent zuverlässig sein. Und schön laid back muss es sein, lässig, cool. Cool und mit der Radikalpower.
Ich habe das Gefühl, dass ein Schlagzeug für dich auch mehr sein kann als nur ein Instrument. Schließlich hast du mal auf einem Kunst-Event die Drums als Bilder malende Farbspritzmaschine eingesetzt und damit in einen anderen Kontext gesetzt ...
Udo Lindenberg:... ja, ja, das Ding heißt „Ejakulator“. Hey! Gute Idee! Der muss mal wieder reaktiviert werden. Da hast du völlig Recht! Ich hab’ mir früher auch mal so einen Blasebalg gebaut und an die Toms montiert. Weißt du das überhaupt? So ne Art Luftmatrazenaufpumper mit Schlauch dran. Den hab ich dann in das Luftloch der Toms reingesteckt und konnte beim Trommeln per Luftdruck die Tonhöhe der Toms verändern.
Und auf’m Becken hatte ich einen Tonabnehmer, so mit Haftgummi drangeklebt und hab’ da Space-Effekte mit angetriggert. Ich hatte immer ein anderes Denken am Schlagzeug. Auch in der Zeit, als ich noch viel im Jazz tätig war, da hab ich mit afrikanischen Klängen, Glocken und so experimentiert. Es gab da immer ein paar afrikanische Musikanten die mich interessierten. Außer Ginger Baker und Paul Simon waren da eben noch Bob Marley, John Coltrane und so, das waren die Black Roots, Homeland, Africa, Atmos ... weißte, Dschungel, auf der Suche nach Klängen und Baumstammdingern. Da war ich ’ne Zeit lang dran interessiert. Deswegen auch die Klangmalerei, neue Wege gehen usw.
Heute setzt man im Drum-Business sehr auf Technik und Perfektion in spielerischer Hinsicht. Hat diese Attitüde einen Effekt auf dich? Ist es für dich spannend oder belanglos?
Udo Lindenberg: Für mich ist das alles belanglos. Schön, dass es das alles gibt. Ich bin ein Freund von Pluralismus, und alle Stilarten sollen auch sein. Aber es berührt mich nicht. So Drum-Workshops lassen mich total kalt.
Ich weiß noch, in der Zeit von Miles Davis’ „Bitches Brew“, John McLaughlin, als Billy Cobham damals aufkam – um so einen Standard hinzukriegen musst du jeden Tag 10 Stunden üben gehen! Ab in den Keller! Dazu hatte ich schlichtweg keine Lust. Und auch nicht die Zeit. Da hab ich gedacht, das kannste knicken.
Und dann kam Buddy Miles auf, ein Drummer, den ich richtig gut fand. Ich bin extra nach München zum Zirkus Krone gefahren, um ihn zu sehen und stellte mich direkt hinters Schlagzeug und wollte mir richtig reinziehen, wie der in einem Groove drin ist: „Hey, who are you?“ ... „Kollege, Kollege!“ ... „ha, ha“... da kamen wir ins Gespräch und ich sagte ihm, dass er mich inspiriert hat. Er spielt ja sehr einfach, nur Groove. Das fand ich gut. Buddy Miles ist ein Typ, an dem ich mich mehr orientierte als an Billy Cobham. Bei aller Wertschätzung ...
... ich hab da ja ne hohe Toleranz, und ich werde auch ständig gefragt, wie ich die „Superstars“ finde. Daniel find ich spitze, und wenn der in einem Jahr mit ’nem eigenen Text kommt und singt, dann muss man da Freiräume schaffen. Der muss sich noch entwickeln. Man darf die Leute nicht niedermachen. In unserer Kultur sollte man eine hohe Toleranz zeigen ...
... und dann kam noch Led Zeppelin und John Bonham, der hat mich auch inspiriert. Und später hab ich mich dann an Bertram orientiert.
Was schätzt du besonders an Bertram?
Udo Lindenberg: Jeder Trommelschlag ist Gesetz! Er ist das Gesetzbuch der Trommler. Die Heilige Schrift. Goldene Trommelstöcke in den Himmel gemeißelt!
Im Wesentlichen sind es zwei Motoren in der Band, die das Ding durchziehen. Das ist der Trommler und das ist der Sänger. Berte ist der Gesetzesschreiber, der Groove und so – und der Sänger macht die Literatur. Wie ’ne Doppelmassage! Und da ich auch selber Trommler bin und wir eine Art Familienstil haben, könnte man ja sagen ... (Udo beginnt zu singen) ... gedomm-doh-do-do-deh ... da ist der Groove in den Genen verankert!